UNSERE FORDERUNGEN

Verbindliche branchenspezifische Reduktionsziele beschließen

Kontrollinstanz, Daten und Berichtspflicht einführen

Lebensmittel-Nutzungshierarchie gesetzlich verankern und Weitergabe verpflichtend machen

Rechtssicherheit und Haftung klären

Steuerliche Anreize schaffen

Wertschätzung und Bildung fördern

Ästhetische Standards abschaffen

Verbindliche Maßnahmen für die Außer-Haus-Verpflegung

Haltbarkeitsdaten transparent machen

Unterstützung für Schulungs- und Umstellungsmaßnahmen

Verbindliche, branchenspezifische Reduktionsziele entlang der gesamten Lieferkette inklusive Lebensmittelverschwendung auf dem Acker und in den Ställen müssen jetzt auf den Weg gebracht werden, um die Halbierung der Lebensmittelverschwendung bis 2030 noch zu erreichen. Die Bundesregierung muss sich in Brüssel dafür einsetzen, dass die von der EU-Kommission vorgestellten Ziele zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung ausgeweitet werden und vom Acker bis zum Teller greifen. Außerdem dürfen die EU-weiten Vorgaben nicht hinter dem SDG 12.3 zurückbleiben. Wir fordern die Regierung dazu auf, in Deutschland mit konkreten branchenspezifischen Reduktionszielen zum Vorreiter zu werden. Freiwillige Zielvereinbarungen ohne rechtliche Sanktionsmöglichkeiten reichen nicht aus, um zu den nötigen Veränderungen zu führen und sollten mit regulatorischen Maßnahmen nachgeschärft werden. Es bietet sich an, Reduktionsziele im Rahmen der Ernährungsstrategie bis Ende 2023 zu verabschieden und für alle Akteure entlang der Wertschöpfungskette verbindlich zu machen.

Wir befürworten grundsätzlich die von der Europäischen Kommission 2019 eingeführte Berichtspflicht für die europäischen Mitgliedstaaten. Die neue Berichterstattung der Mitgliedstaaten an die EU, die im Juni 2022 von der Bundesregierung eingereicht wurde, ist allerdings nicht tiefgehend genug. Die Zahlen basieren ausschließlich auf den jährlich erhobenen Abfallstatistiken. Diese werden in Deutschland allerdings durch nicht repräsentative Stichproben erstellt und sind deshalb nur eine Schätzung. Neben der Abfallstatistik sollten weitere Quellen zur Erfassung der Verschwendung berücksichtigt werden. Hier spielt eine Berichtspflicht über die Menge der Lebensmittelabfälle für alle Unternehmen entlang der Lieferkette eine wichtige Rolle. Zudem ist ein einheitliches Messsystem notwendig, um eine Vergleichbarkeit zwischen den Ländern zu ermöglichen. Mit Blick auf die von der Bundesregierung eingereichten Daten erhoffen wir uns eine zeitnahe Veröffentlichung des Methodenberichts, um diese Daten besser nachvollziehen zu können.

Auch um Reduktionsziele zu kontrollieren und passgenaue Lösungsmodelle gegen Lebensmittelverschwendung zu entwickeln, ist eine gute Datenlage und ein einheitliches System zur Messung von Lebensmittelverlusten von den Vorernteverlusten bis hin zu den Haushalten notwendig. Entsprechend ist eine öffentliche Berichtspflicht über die Menge vermeidbarer Lebensmittelabfälle für alle Unternehmen entlang der Wertschöpfungskette ab einer gewissen Größe erforderlich. Eine Kontrollinstanz, wie sie in Frankreich im Rahmen des Wegwerf-Stopps im Nachhinein etabliert wurde, muss für alle Sektoren eingeführt werden. Die Kompetenzstelle Außer-Haus- Verpflegung kann hier als Vorbild gelten. Eine wirkungsvolle Kompetenzstelle sollte jedoch alle Sektoren abdecken und mit ausreichend Mitteln und Personal ausgestattet sein. Wichtig ist hier eine Abkehr von freiwilligen Zielvereinbarungen hin zu verpflichtenden Reduktionszielen. Für Fälle von Nichteinhaltung verbindlicher Reduktionsziele und fehlender Transparenz müssen finanzielle Sanktionsmöglichkeiten geschaffen werden.

Eine rechtlich verbindliche Lebensmittel-Nutzungshierarchie fördert die Weitergabe von Lebensmitteln und sollte in der Ernährungsstrategie verankert sein. Die EU-Abfallrahmenrichtlinie hat die Lebensmittelverschwendung bereits als wichtigen Faktor für eine Kreislaufwirtschaft identifiziert und eine klare Hierarchie im Umgang mit Lebensmittelabfällen definiert (Vermeidung, Weitergabe zum menschlichen Verzehr, Verarbeitung zu Tierfutter, Recycling, sonstige Verwertung und Entsorgung). Darauf sollte die deutsche Gesetzgebung aufbauen. Eine Lebensmittel- Nutzungshierarchie, welche als oberstes Ziel die Vermeidung von Lebensmittelabfall vorsieht, sollte im Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG) § 6 verankert werden und auch im Rahmen der Ernährungsstrategie definiert werden. Es muss sichergestellt werden, dass genießbare Lebensmittelüberschüsse im ersten Schritt für den menschlichen Verzehr weitergegeben werden müssen. In diesem Zusammenhang fordern wir nach den Vorbildern Frankreich, Wallonien und Tschechien einen Wegwerfstopp für Supermärkte.

Lebensmittelrettende, gemeinnützige Organisationen müssen bei der Weitergabe von Lebensmitteln von der Haftung befreit werden. Entsprechend fordern wir ein Gute-Samariter-Gesetz, ähnlich wie es in Italien bereits gelebt wird. Danach sollten spendende Betriebe und lebensmittelrettende, gemeinnützige Organisationen – mit Ausnahme bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit – generell haftungsfrei gestellt werden, indem diese im rechtlichen Sinne Endverbraucher*innen gleichgestellt werden. Die unentgeltliche Weitergabe und Verteilung von genießbaren Lebensmitteln, sowie die Nutzung und Weiterverarbeitung bei Bildungs- und Kochworkshops, ist nicht mit der Einstufung als Lebensmittelunternehmen gleichzusetzen und sollte eindeutig als eine schenkungsrechtliche Angelegenheit im Bereich des Endabnehmers definiert werden. Davon ausgenommen bleibt die Produkthaftung des Herstellers bei gefährlichen Produktmängeln und einer die Gesundheit gefährdenden falschen Etikettierung. Diese Maßnahme würde nicht nur Rechtssicherheit für karitative Organisationen bringen, sondern auch die Spendenbereitschaft für Lebensmittel fördern. Vor allem die Rückverfolgbarkeit der Lebensmittel ist für nicht-kommerzielle und ressourcenarme Organisationen nicht praxistauglich und sollte bundesweit entbürokratisiert werden. Ein Schritt in diese Richtung stellen vereinfachte Lieferscheine für alle Empfängerorganisationen dar. Die konkrete Ausgestaltung von praxistauglichen Regeln sollte gemeinsam mit den Akteuren der Lebensmittelrettung vollzogen werden.

Entsorgung muss der teuerste Umgang mit überschüssigen Lebensmitteln werden. Entsprechend sollten umgehend die im Koalitionsvertrag festgeschriebenen steuerlichen Erleichterungen für Lebensmittelspenden ermöglicht werden. Durch die Schaffung von steuerlichen Anreizen kann die Weitergabe von Lebensmitteln für den menschlichen Verzehr um einiges attraktiver gemacht werden. Als Vorbild sollte hier das französische Modell dienen, nach dem 60 Prozent des Nettobuchwerts für Lebensmittelspenden abgesetzt werden können. Es ist nicht weiter hinzunehmen, dass es für Betriebe entlang der Lieferkette günstiger ist, Lebensmittel als Verluste zu deklarieren, anstatt diese weiterzugeben.

Die Bundesregierung sollte in ihrer Ernährungsstrategie eine höhere Wertschätzung von Lebensmitteln und die Reduzierung der Verschwendung als wichtige Bestandteile für eine klimafreundliche und ressourcenschonende Ernährungspolitik fördern. Konkrete Beispiele sind die Förderung von Bildungsarbeit für alle Bevölkerungsgruppen, Aus- und Weiterbildung in relevanten Berufsgruppen, die Unterstützung lokaler Initiativen und regionaler Kooperationen, sowie Maßnahmen in der öffentlichen Beschaffung und Gemeinschaftsverpflegung. Zudem sollten Kinder und Jugendliche auch die Wertschöpfungskette, und insbesondere den Anbauprozess von Obst und Gemüse, kennenlernen. Durch Wertschätzung für das Produkt kann Lebensmittelverschwendung schon früh eliminiert und für das Thema sensibilisiert werden. Um eine Änderung des Verbraucher*innenverhaltens zu erreichen, ist es außerdem notwendig, das Thema Lebensmittelverschwendung flächendeckend in die Lehrpläne zu integrieren, um insbesondere auch die nächste Generation zu sensibilisieren.

Viele Tonnen an Obst und Gemüse werden jedes Jahr in Deutschland weggeworfen, weil sie nicht den durch den Handel geforderten Normen entsprechen. Für Gemüse beispielsweise nennen Landwirt*innen ästhetische Standards als die Hauptursache für Lebensmittelverschwendung (Göbel et al. 2015). Auf EUEbene muss sich die Bundesregierung für eine Anpassung der spezifischen Vermarktungsnormen einsetzen und eine Reduzierung von Standards, die rein ästhetischer Natur sind, voranbringen. Das gilt auch für ein Zurückfahren der Anwendung weiterer Standards, bspw. der UNECE-Normen, sowie handelseigener Standards (Ebert et al. 2020, Pietrangeli et al. 2023).

Des Weiteren sollte sich die Bundesregierung für die Kontrolle und ggf. Anpassung des AgrarOLkG sowie der UTP-Richtlinie mit Blick auf ästhetische Standards seitens der Lebensmitteleinzelhandelsketten einsetzen. Ansonsten besteht die Gefahr, dass der Handel aufgrund seiner Reduzierungsziele den Druck entlang der Lieferkette noch stärker weitergibt und noch strengere ästhetische Standards erlassen werden, sowie kurzfristige Bestellstornierungen zunehmen. Bereits jetzt gibt es Evidenzen für Vertragsgestaltungen, die unlauteren Handelspraktiken nah kommen sowie für informell festgelegte Qualitätsanforderungen seitens des Handels (Pietrangeli et al. 2023). Entsprechend ist es umso wichtiger, dass die Bundesregierung in der Ernährungsstrategie Kohärenz zwischen den Politiken herstellt mit dem Ziel, Lebensmittelverschwendung bereits auf dem Acker zu reduzieren.

Um Lebensmittelabfälle in der Außer-Haus-Verpflegung zu vermeiden und Bewusstsein für einen wertschätzenden Umgang mit Lebensmitteln zu schaffen empfehlen wir, Cafés, Restaurants und Kantinen zu verpflichten, Kund*innen die kostenlose Mitnahme von Speiseresten zu ermöglichen und diese Möglichkeit in der Speisekarte deutlich kenntlich zu machen. Zudem muss auch hier das Reduktionspotential in der Zubereitung voll ausgeschöpft werden. Dieses kann einen doppelten Nachhaltigkeitseffekt haben: So gelang in einer Klinik durch das Vermeiden von Lebensmittelabfällen eine kostenneutrale Umstellung auf einen Bio-Anteil von 10 Prozent (Brehl 2022).

Bisher gibt es keine verbindlichen Vorgaben dafür, wie Hersteller das Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) festzulegen haben. Lediglich die Auslobung auf dem Produkt ist durch die Lebensmittel-Kennzeichnungsverordnung geregelt. Problematisch ist dies besonders dann, wenn Hersteller des Produkts aus wirtschaftlichen Gründen an einem kürzeren MHD interessiert sind. Wir fordern deshalb transparente, verbindliche Regeln bei der Festlegung des MHD. Ein weiteres Problem sind Missverständnisse im Umgang mit Mindesthaltbarkeits- und Verbrauchsdatum: diese sind für 10 Prozent der 88 Mio. Tonnen Lebensmittel, die in der Europäischen Union verschwendet werden, verantwortlich (Europäische Kommission 2018). Das liegt daran, dass der Unterschied zwischen dem Mindesthaltbarkeits- und dem Verbrauchsdatum vielen Konsument*innen nicht ausreichend bekannt ist und dieser auch nicht abgebildet und erklärt wird. Hier kann eine bessere sprachliche oder visuelle Unterscheidung helfen. So könnte das Mindesthaltbarkeitsdatum mit “mindestens haltbar bis, aber oft länger gut” umschrieben werden. Die Bundesregierung sollte sich daher auf EU-Ebene dafür einsetzen, dass der Unterschied zwischen Mindesthaltbarkeits- und Verbrauchsdatum klarer dargestellt wird und dass die Produktpalette der von der Haltbarkeitskennzeichnungspflicht ausgenommen Produkte erweitert und die Nicht-Kennzeichnung konsequent umgesetzt werden. Die Herstellung von Transparenz mit Blick auf Mindesthaltbarkeits- und Verbrauchsdatum sollte auch in der Ernährungsstrategie der Bundesregierung eine entsprechende Rolle spielen.

Wie im Eckpunktepapier der Bundesregierung beschrieben, kommt der Vernetzung von relevanten Stakeholdern entlang der Wertschöpfungskette eine große Bedeutung zu. Hier sollte es allerdings nicht bei reinen Vernetzungsangeboten bleiben, sondern auch eine finanzielle Unterstützung für Schulungsund Umstellungsmaßnahmen hin zu nachhaltiger Produktion, Verarbeitung und Vermarktung für kleinere Betriebe etabliert werden, insbesondere mit Blick auf landwirtschaftliche Betriebe und lokale Verarbeitung. Wenn bäuerlich-agrarökologisch wirtschaftende Höfe und regionale Verarbeitung für die Bundesregierung Werte und Ziele darstellen, dann muss die Ernährungsstrategie einen Beitrag leisten, um Fairness in der Lieferkette herzustellen und die ungleich verteilte Marktmacht einschränken. Andernfalls sind Regionalität und weniger Verschwendung auf dem Acker und im Stall nicht zu erreichen.

Unsere Arbeit

Nationales Digitalforum

Im Rahmen der nationalen Strategie zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung wurden vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft und den Dachverbänden der Land- und Ernährungswirtschaft, des Handels, des Lebensmittelhandwerks und der Gastronomie ein nationales Dialogforum, sowie sektorenspezifische Dialogforen eingerichtet. Bündnispartner sind in den jeweiligen Foren beteiligt und es findet ein regelmäßiger Austausch zu den Ergebnissen im Bündnis statt.

Dialogforum Groß- und Einzelhandel

Als Bündnis Lebenmittelrettung haben wir unter anderem am Dialogforum Groß- und Einzelhandel teilgenommen. In Vorbereitung auf dieses Forums haben wir unsere Fragen an den Lebensmitteleinzelhandel gesammelt und in Form eines Videos zusammengestellt. Für den Handel ist das Bündnis die zentrale Adresse, wenn es um gemeinsame Aktionen und Maßnahmen zur Reduktion von Lebensmittelverschwendung geht.
→ Unsere Fragen an den Lebensmittel-Einzelhandel:

Unsere Forderungen haben den Diskurs im Forum geprägt und maßgeblich zu dem Erkenntnispapier des Forums zum Thema Lebensmittelweitergabe und -verwertung beigetragen, welches am 12.04.2021 veröffentlicht wurde und den derzeitigen Diskussionsstand wiedergibt. Link