Bundestagswahl 2021

Wahlprüfsteine

Anlässlich der Bundestagswahl im September 2021 haben wir den Parteien Fragen bezüglich Lebensmittelverschwendung gestellt. Hier veröffentlichen wir die Antworten der Parteien, die wir erhalten haben – CDU, FDP und SPD haben uns leider nicht geantwortet – und bewerten diese mit 1 bis 5 Punkten als Karotten.

Frage 1 

Lebensmittel werden im Handel und von den Verbraucher:innen oft aufgrund der Überschreitung ihres Mindesthaltbarkeitsdatums weggeworfen, obwohl sie in der Regel noch länger genießbar sind. Wie schätzt Ihre Partei das Problem ein, und welche Maßnahmen wollen Sie unternehmen, um ihm entgegenzuwirken?

Wir GRÜNE befürworten die Abschaffung des Mindesthaltbarkeitsdatums für bestimmte langlebige Produkte wie Nudeln oder Reis. Für andere Produkte halten wir das Mindesthaltbarkeitsdatum für wichtig, wenn bei Verderb Gesundheitsgefahren drohen. Hier wollen wir das MHD aber stärker standardisieren, um eine einheitlichere Anwendung sowie eine Annäherung an den tatsächlichen Verderb zu erreichen. Außerdem halten wir es für sinnvoll, wenn der Handel Lebensmittel, deren Mindesthaltbarkeitsdatum näher rückt, zu reduzierten Preisen verkauft und hierfür auch technische Innovationen wie intelligente Preissenkungssysteme nutzt. Grundsätzlich gilt jedoch: Bei einem Großteil der weggeworfenen Lebensmitteln wie Brot, Obst oder Gemüse spielt das Mindesthaltbarkeitsdatum gar keine Rolle, da sie ohne Mindesthaltbarkeitsdatum verkauft werden.

Beim Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) haben wir eine differenzierte Meinung. Bereits jetzt ist es möglich, dass MHD für bestimmte Lebensmittel wie Salz, Zucker und Essig wegzulassen. Bei anderen Produkten wie Nudeln ist das jedoch nicht mehr ganz so einfach, da dort die Haltbarkeit aufgrund unterschiedlicher Herstellungsverfahren und Inhaltsstoffe unterschiedlich sein kann. Das MHD ist für Verbraucher*innen ein wichtiger Anhaltspunkt wie alt ein Lebensmittel tatsächlich ist. Nach einer Untersuchung des Max-Rubner-Institutes prüfen 88 Prozent der Verbraucher*innen nach Ablauf des MHD, ob das Lebensmittel noch verwendbar ist. Nur 7 Prozent werfen es ohne Prüfung weg. Das MHD bietet Potential für intelligente Verpackungen, die z.B. Verderbnis anzeigen. Wir halten die Vorschläge für ein Verpackungsdatum oder eine Ergänzung des MHD durch ein „Oft länger gut“-Label, für sinnvoll. Supermärkte müssen verpflichtet werden, aussortierte, aber noch genießbare Lebensmittel kostenfrei zur Verfügung zu stellen. Die Lebensmittelsicherheit muss dabei immer gewährleistet sein.

Das Bündnis Lebensmittelrettung fordert als Teil der geplanten Revision der EU Lebensmittel-Informationsverordnung eine Ausweitung der Produktliste, für die das MHD nicht anzuwenden ist – insbesondere für Produkte mit langer Haltbarkeit, wie z.B. Reis oder Nudeln.

Die Angaben auf weiterhin kennzeichnungspflichtigen Lebensmittel sollten als Teil der Revision der EU-Datumskennzeichnungsregeln überarbeitet werden, um Missverständnisse bei den Verbraucher*innen zu vermeiden. Die unterschiedlichen Bedeutungen des MHDs und des Verbrauchsdatums müssen durch eine verpflichtende Visualisierung oder verbesserte Terminologie klarer zu unterscheiden sein.

Die Willkürlichkeit und Intransparenz bei der Bestimmung des MHD durch die Hersteller*innen muss aufgehoben werden und in Zukunft ausschließlich nach wissenschaftlichen Kriterien erfolgen. Hersteller müssen zudem dazu verpflichtet werden, Produkte einer Charge mit identischen MHD-Angaben zu kennzeichnen.

Frage 2 

Wie plant die Partei die Wertschätzung von Lebensmitteln innerhalb der Bevölkerung zu erhöhen und mehr Kenntnisse im Umgang mit Lebensmitteln (wie z.B. Lagerung) zu vermitteln? Welche Rolle spielt dabei die Schulbildung?

Wir GRÜNE wollen die Ernährungsbildung an Schulen und auch schon an Kitas stärken, um Kindern Wertschätzung für Lebensmittel zu vermitteln. Gemeinsam mit den Ländern wollen wir erreichen, dass Verbraucher*innen- und Ernährungsbildung zum festen Bestandteil des Schulunterrichts wird. Zudem wollen wir Verbraucher*innen durch zielgerichtete Informationen zum Thema Lebensmittelverschwendung und Umgang mit Lebensmitteln sensibilisieren und aufklären.

DIE LINKE spricht sich für eine anwendungsorientierte Ernährungsbildung in Schulen und Kitas aus: Neben einer kostenfreien und gesunden Kita- und Schulverpflegung in ganz Deutschland, wie es der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung für eine nachhaltige Ernährungspolitik fordert, wollen wir Frischküchen mit regionalen, saisonalen und ökologischen Lebensmitteln. In den Kitas und Schulen soll gemeinsam gekocht, Mahlzeiten zubereitet und Nahrungsmittel in Schulgärten angebaut und geerntet werden. Verbraucherinformationen müssen bei der Bevölkerung ankommen, hier sind weitere Anstrengungen möglich, damit sie alle Verbrauchergruppen erreichen.

Wir fordern die flächendeckende Verankerung von Ernährungsbildung in den Lehrplänen aller Bundesländer, die gezielt das Thema Lebensmittelverschwendung in den Fokus rückt sowie die Auswirkungen von Ernährung auf Klima und Umwelt behandelt.

Eine erste Ernährungsbildung sollte bereits in der Kita beginnen und Verbraucher*Innen lebenslang erreichen. Dahingehend sollte Lehrkräften, Bildungsbeauftragten und Erzieher*innen vermehrt Weiterbildungen angeboten werden.

Frage 3 

In anderen Ländern gibt es bereits gesetzliche Vorgaben zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung. Inwiefern wird sich die Partei in Deutschland für die Einführung gesetzlicher Regelungen, wie beispielsweise einen Wegwerfstopp ähnlich dem französischen Modell einsetzen?

Wir GRÜNE halten gesetzliche Regelungen für notwendig, um das Ziel, Lebensmittelabfälle bis 2030 zu halbieren, zu erreichen. Daher wollen wir mit einem Rettet-die-Lebensmittel-Gesetz verbindliche Reduktionsziele einführen und Lebensmittelhandel und -produzent*innen verpflichten, genusstaugliche Lebensmittel weiterzugeben, statt sie wegzuwerfen. Nach dem Vorbild Frankreichs soll für Lebensmittelmärkte ab einer bestimmten Größe, aber auch für Lebensmittelproduzent*innen gelten, dass sie genusstaugliche Lebensmittel nicht aufgrund von beispielsweise Kennzeichnungsmängeln vernichten, sondern einer weiteren Verwendung zuführen müssen.

Maßnahmen gegen Lebensmittelverschwendung dürfen sich nicht nur auf die Verwertung von Lebensmittelresten beschränken. Vielmehr ist die Vermeidung von Lebensmittelabfällen in der Produktionskette besonders wichtig. Um Lebensmittelverschwendung zu verringern, setzen wir uns daher für verbindliche Reduktionsziele entlang der gesamten Wertschöpfungskette ein (vgl. Antwort auf Frage 5). Handelsnormen müssen hinterfragt und rein optische Qualitätsanforderungen für Nahrungsmittel abgeschafft werden. Die Optik von Obst und Gemüse darf kein Abnahmekriterium im Handel sein. DIE LINKE vertritt zudem die Auffassung, dass Nahrungsmittel, die nicht mehr verkäuflich, aber noch genießbar sind, vom Lebensmitteleinzelhandel und den Lebensmittelherstellern den Einrichtungen zur kostenfreien Abgabe zur Verfügung gestellt werden müssen. Die Kosten hierfür haben sie zu tragen.

Die letzten Jahre haben deutlich gemacht, dass freiwillige Maßnahmen nicht ausreichen, um die Lebensmittelverschwendung wie notwendig bis 2030 zu halbieren. Gesetzliche Vorgaben wie die aus Frankreich haben sich als sehr wirkungsvoll erwiesen.

Wir fordern deshalb einen gesetzlichen Wegwerfstopp, der es dem Handel untersagt, genießbare Lebensmittel wegzuwerfen, statt diese weiterzugeben. Gleichzeitig müssen die Spende und Abnahme von Lebensmitteln rechtlich hürdenlos möglich sein.

Zudem ist eine Nachsteuerung der Umsetzung der UTP-Richtlinie spätestens zum Zeitpunkt der Evaluierung des Gesetzes im Jahr 2023 zur Reduzierung von Qualitätsanforderungen notwendig.

Frage 4 

Sowohl Lebensmittel spendende Unternehmen als auch rettende Organisationen klagen über Rechtsunsicherheit bei der Weitergabe von Lebensmittelspenden. Wie wird sich die Partei für die Klärung von Haftungsfragen einsetzen?

Derzeit hindern auch Haftungsrisiken Lebensmittelmärkte daran, noch genießbare Lebensmittel zu spenden bzw. zugänglich zu machen. Zusammen mit einer gesetzlichen Regelung, dass Lebensmittelmärkte noch genießbare Lebensmittel abgeben sollen, wollen wir diese Haftungsrisiken ausschließen. Daher wollen wir GRÜNE einen ordnungsrechtlichen Rahmen schaffen, der Lebensmittelmärkten gebietet, noch genießbare Lebensmittel zu spenden bzw. zugänglich zu machen. Aber auch im Bereich der Gemeinschaftsverpflegung scheitert die Weitergabe von Lebensmitteln an Tafeln oder andere soziale Einrichtungen oft daran, dass Unternehmen wegen Hygieneregeln bzw. haftungsrechtlicher Bedenken Speisen nicht weitergeben. Auch hier wollen wir Verbesserungen erreichen, indem wir hygienerechtliche Anforderungen überprüfen bzw. Hilfestellungen entwickeln, um die Weitergabe von Speisen aus der Gemeinschaftsverpflegung zu erleichtern.

DIE LINKE wird sich für eine Klärung von Haftungsfragen bei der Weitergabe von Lebensmitteln einsetzen. Wir fordern zudem für die Entkriminalisierung der Lebensmittelrettung. Die Bundestagsfraktion DIE LINKE hat dazu den Antrag „Containern von Lebensmitteln entkriminalisieren“ (Bundestagsdrucksache 19/9345) in den Bundestag eingebracht, zu dem im November 2020 im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz eine öffentliche Anhörung stattfand. Diese Forderung ist auch Inhalt des Wahlprogrammes. DIE LINKE wird sich nicht damit abfinden, dass sozialwidriges Verhalten der Verschwendung von Lebensmitteln strafrechtlich geschützt, aber sozialethischen Verhalten wie die Rettung von Lebensmitteln strafrechtlich sanktioniert wird.

Um die aktuellen rechtlichen Unsicherheiten bei der Weitergabe von Lebensmitteln, wie z.B. Haftungsrisiken, zu reduzieren, fordern wir bundesweit geltende politische Rahmenbedingungen, die die Weitergabe von Lebensmitteln rechtlich absichern.

Leitfäden zur Lebensmittelweitergabe, wie bspw. der Leitfaden des BMEL, müssen auch außerhalb der Tafeln, das ganze Spektrum der lebensmittelrettenden Akteure berücksichtigen. So muss auch das vereinfachte Lieferscheinverfahren für alle Lebensmittelretter*innen zur Dokumentation von Lebensmittelspenden, gelten um die kostenfreie Weitergabe von Lebensmitteln zu erleichtern.

Frage 5 

Deutschland hat sich das Ziel gesetzt, die Lebensmittelverschwendung bis 2030 zu halbieren. (Handel/Verbraucher:innen) Inwiefern halten Sie zur Erreichung dieses Ziels konkrete und verbindliche Reduktionsvorgaben für sinnvoll – bzw. für welche Sektoren?

Um dieses Ziel zu erreichen, sind verbindliche Maßnahmen aus unserer Sicht unabdingbar. Dazu gehören konkrete und verbindliche Reduktionsziele für alle Stufen der Wertschöpfungskette inklusive Sanktionierungen bei Nichteinhaltung. Die bisherigen, freiwilligen Maßnahmen im Rahmen der Nationalen Reduktionsstrategie reichen nicht aus.

DIE LINKE setzt sich seit längerem für verbindliche Zielmarken und gesetzliche Rahmenbedingungen für alle Wertschöpfungsstufen der Lebensmittelherstellung (Landwirtschaft, Verarbeitung, Handel, Außer-Haus-Verpflegung) ein. Die von der Bundesregierung eingerichteten freiwilligen Dialogforen kommen zu spät, um die Lebensmittelverschwendung bis 2030 zu halbieren. Großbritannien hatte sie bereits vor 15 Jahren eingerichtet, um heute Erfolge vorweisen zu können. Wir sind der Meinung, dass Verschwendung und Vernichtung von Lebensmitteln finanziell weh tun muss. Wesentliche Ursache für Lebensmittelverschwendung ist der niedrige Preis und ständige Überproduktion, Lebensmittelverluste fallen ökonomisch kaum ins Gewicht, sind beim Warenwert und Preis bereits einkalkuliert, Verschwendung zahlen am Ende die Verbraucher:innen ohne es zu merken.

Wir fordern, die Lebensmittelverschwendung mittels verpflichtender und ggf. gesetzlicher Regelungen auf allen Ebenen zu reduzieren. Die auf Freiwilligkeit basierende Nationale Strategie zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung der Bundesregierung ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, aber nicht ausreichend, um die Lebensmittelverschwendung bis 2030 zu halbieren.

Verbindliche Ziele für alle Akteure entlang der gesamten Lieferkette sollen sicherstellen, dass die Verschwendung bis 2030 um 50 Prozent reduziert wird. Die Einhaltung muss durch mehr Datentransparenz und Sanktionen bei Nichteinhaltung gewährleistet werden.

Frage 6 

Sieht die Partei zur Reduzierung von Lebensmittelverschwendung weitere Maßnahmen vor, die in diesem Frage- und Antwortkatalog bisher noch keine Nennung gefunden haben? Wenn ja, welche?

Neben den bereits genannten Maßnahmen setzen wir GRÜNE uns für die Entkriminalisierung des Containerns ein. Außerdem wollen wir die bestehende Rechtsunsicherheit hinsichtlich der Umsatzsteuer bei Lebensmittelspenden beheben. Für Lebensmittel, die für den Verkauf ungeeignet sind und die an gemeinnützige Organisationen gespendet werden, soll keine Umsatzsteuer anfallen. Noch bestehende EU-Vermarktungsnormen bzw. private Vermarktungsnormen des Handels bei Obst und Gemüse wollen wir überprüfen und novellieren bzw. aufheben. Um endlich zuverlässige Zahlen über das Ausmaß der Lebensmittelverluste zu erhalten, sprechen wir uns für Offenlegungs- und Transparenzpflichten aus. Zur Reduktion der Lebensmittelverschwendung muss aber auch ganz am Anfang der Verursacherkette angesetzt werden. Durch veränderte Förderstrukturen muss Überproduktion eingedämmt- und auf Qualität gesetzt werden. Eine qualitätsorientierte Produktion verursacht weniger Verluste und trägt zu mehr Wertschätzung von Lebensmitteln bei.

Ja. Lebensmittelverschwendung ist in einer Marktwirtschaft systemimmanent. Um eine wirksame Reduzierung auf allen Ebenen zu erreichen, müssen Änderungen erfolgen zum Beispiel bei Lockangeboten „Kaufe 2 zahle 1“, globalisierten Lieferketten bei Lebensmitteln, der Marktmacht des Lebensmitteleinzelhandels und einiger Verarbeitungskonzerne sowie beim Wettbewerb- und Kostendruck bei der Erzeugung von Lebensmitteln. Wir wollen die Regional- und Direktvermarktung und Aufbau regionaler Ernährungssysteme fördern. Ferner muss das Lieferkettengesetz in einer Form überarbeitet werden, dass die Unternehmen auf die Einhaltung von ökologischen und sozialen Standards in der gesamten Lieferkette, also auch im Ausland, verpflichtet werden und bei Verstößen dagegen auch haftbar sind. Wir wollen außerdem eine Berichtspflicht für Unternehmen über ihre Lebensmittelabfälle in der Nachhaltigkeitsberichterstattung.